Winzige magnetische Werkzeuge könnten Gehirnoperationen ohne Öffnung des Schädels revolutionieren

Die meisten Gehirnoperationen erfordern heute die Entfernung eines Teils des Schädels, um schwer zugängliche Bereiche oder Tumore zu erreichen – ein invasives Verfahren, das erhebliche Risiken birgt und lange Erholungszeiten erfordert. Doch eine bahnbrechende Innovation von Forschern der Universität Toronto und des Hospital for Sick Children (SickKids) in Kanada könnte dieses Paradigma für immer verändern.
In einer in Science Robotics veröffentlichten Studie haben Forscher winzige robotische chirurgische Werkzeuge entwickelt, die durch externe Magnetfelder angetrieben werden und “Schlüsselloch-Operationen” am Gehirn ermöglichen könnten, ohne eine größere Schädelöffnung zu erfordern. Diese Miniaturwerkzeuge mit einem Durchmesser von nur etwa 3 mm können die Geschicklichkeit des Handgelenks eines Chirurgen nachahmen und sind gleichzeitig klein genug, um durch enge Korridore eingeführt zu werden und tiefe Hirnstrukturen zu erreichen.
Die Herausforderung der minimal-invasiven Gehirnchirurgie
Konventionelle Gehirnoperationen erfordern oft eine Kraniotomie – die Entfernung eines Teils des Schädels, um an das Gehirngewebe zu gelangen. Dieser Ansatz, obwohl für viele Eingriffe notwendig, birgt erhöhte Risiken für Infektionen, Blutungen und verlängerte Erholungszeiten.
Während robotische chirurgische Werkzeuge (mit einem Durchmesser von etwa 8 mm) seit Jahrzehnten bei Schlüssellochoperationen für andere Körperteile eingesetzt werden, hat die Herstellung von Werkzeugen, die klein genug für die Neurochirurgie sind, erhebliche Herausforderungen mit sich gebracht. Die meisten robotischen chirurgischen Instrumente verwenden seilgetriebene Mechanismen, ähnlich wie Sehnen die menschlichen Finger steuern, aber diese werden bei kleineren Maßstäben problematisch.
“Umlenkrollen mit einem Durchmesser von weniger als einigen Millimetern zur Steuerung der Instrumente sind schwach und anfällig für Reibung, Dehnung und Bruch. Dies schafft Herausforderungen bei der Verkleinerung der Instrumente”, erklärt das Forschungsteam in ihrer Arbeit.
Magnetische Lösung für ein mechanisches Problem
Die Innovation, die diese winzigen Werkzeuge ermöglicht, liegt in ihrer Energiequelle: externe Magnetfelder anstelle von internen Motoren oder mechanischen Kabeln.
Das System besteht aus zwei Hauptkomponenten. Erstens die Werkzeuge selbst – ein Greifer, ein Skalpell und eine Pinzette, jeweils mit einem Durchmesser von weniger als 3,2 mm und mit eingebetteten Permanentmagneten. Die zweite Komponente ist das, was die Forscher einen “Spulentisch” nennen, ein Operationstisch mit eingebetteten elektromagnetischen Spulen.
Bei diesem Design würde der Patient mit dem Kopf über den eingebetteten Spulen positioniert, wobei die robotischen Werkzeuge durch ein kleines Bohrloch in das Gehirn eingeführt werden. Durch die Steuerung des elektrischen Stroms durch die Spulen können Chirurgen Magnetfelder mit bemerkenswerter Präzision manipulieren und die Werkzeuge zum Greifen, Ziehen oder Schneiden von Gewebe nach Bedarf bewegen.
Was diese Werkzeuge besonders revolutionär macht, ist ihre Fähigkeit, die “gelenkigen” Bewegungen einer Chirurgenhand zu replizieren, sodass sie schwenken und kippen können, um schwierige Bereiche wie Tumore in zentralen Hirnhöhlen zu erreichen.
Überraschende Präzision bei Tests
Die Forscher führten präklinische Versuche mit gehirngewebeähnlichen Materialien und sogar mit Tofu und Himbeeren durch, die in Hirnmodellen platziert wurden, um die Fähigkeiten der Werkzeuge zu testen.
Im Vergleich zu traditionellen chirurgischen Instrumenten, die von ausgebildeten Chirurgen gehandhabt werden, zeigten die magnetisch gesteuerten Werkzeuge beeindruckende Ergebnisse. Das magnetische Skalpell erzeugte konsistente, schmale Schnitte mit einer durchschnittlichen Breite von nur 0,3-0,4 mm – deutlich präziser als traditionelle Handwerkzeuge, die Schnitte im Bereich von 0,6 bis 2,1 mm erzeugten. Die Greifwerkzeuge erfassten erfolgreich Ziele in 76% der Fälle.
“Wir waren überrascht, wie gut die robotischen Werkzeuge funktionierten”, bemerkt Changyan He, Hauptautor der Studie. Die Forscher führten auch In-vivo-Experimente an Ferkeln durch, indem sie die magnetischen Werkzeuge mit einem konzentrischen Röhrenroboter integrierten und so ein hybrides steuerbares chirurgisches Robotersystem schufen.
Vom Labor in den Operationssaal
Obwohl die Ergebnisse vielversprechend sind, bleibt der Weg vom Labor zur klinischen Anwendung lang. Das Forschungsteam, Teil eines umfassenderen Projekts unter der Leitung von Eric Diller von der Universität Toronto, konzentriert sich nun darauf, sicherzustellen, dass der Roboterarm und das magnetische System bequem in Krankenhausoperationssäle passen und mit Bildgebungssystemen wie der Fluoroskopie kompatibel bleiben.
“Es kann Jahre, sogar Jahrzehnte dauern, medizinische Geräte zu entwickeln, besonders chirurgische Roboter”, warnt das Forschungsteam.
Dennoch bietet diese Technologie einen potenziellen Paradigmenwechsel in der Neurochirurgie. Durch die Ermöglichung präziser Operationen durch winzige Zugangspunkte anstelle von größeren Kraniotomien könnten diese magnetischen Werkzeuge die chirurgischen Risiken drastisch reduzieren, die Erholungszeiten verkürzen und möglicherweise die Ergebnisse für Patienten verbessern, die eine Gehirnoperation benötigen.
Zusammenfassung der Forschungsarbeit
Methodik
- Entwicklung von magnetisch betätigten Werkzeugen mit einem Durchmesser von weniger als 3,2 mm, die eingebettete Permanentmagnete enthalten
- Drei Werkzeuge wurden entwickelt: ein Greifer mit zwei Freiheitsgraden, ein schwenkbares Skalpell mit einem Freiheitsgrad und eine durch verdrehte Fäden betätigte Pinzette mit einem Freiheitsgrad
- Steuerungssystem mit elektromagnetischen Spulen zur Fernsteuerung der Werkzeuge
- Tests in Silikon-Hirnphantomen und In-vivo-Experimente an Ferkeln
Hauptergebnisse
- Magnetische Skalpellschnitte hatten eine durchschnittliche Breite von 0,3-0,4 mm (vs. 0,6-2,1 mm bei traditionellen Werkzeugen)
- Greifer erfassten erfolgreich Ziele in 76% der Fälle
- Werkzeuge erreichten erfolgreich Ventrikelgebiete für simulierte Tumorentfernung
- Erfolgreiche Durchführung von Corpus-Callosotomie-Simulationen zur Epilepsiebehandlung
- In-vivo-Tests zeigten die Fähigkeit, lebendes Hirngewebe zu greifen, zu schneiden und zu biopsieren
Einschränkungen der Studie
- Korrelation zwischen Labortests und Ergebnissen bei menschlichen Operationen noch nicht nachgewiesen
- Integration in Krankenhausoperationssäle erfordert weitere Entwicklung
- Kompatibilität mit Bildgebungssystemen erfordert zusätzliche Tests
- Technologie befindet sich noch im präklinischen Stadium und erfordert jahrelange Entwicklung vor dem Einsatz am Menschen
Diskussion & Erkenntnisse
- Technologie ermöglicht potenziell “Schlüsselloch-Chirurgie” für das Gehirn ohne größere Schädelentfernung
- Könnte die mit konventionellen Kraniotomien verbundenen Risiken erheblich reduzieren
- “Gelenkige” Bewegungen ahmen die Geschicklichkeit der Chirurgenhand trotz winziger Größe nach
- Drahtlose magnetische Betätigung überwindet mechanische Einschränkungen von seilbetriebenen kleinen Instrumenten
- Stellt einen potenziellen Paradigmenwechsel für die minimal-invasive Neurochirurgie dar
Quelle:
Changyan He et al, Magnetically actuated dexterous tools for minimally invasive operation inside the brain, Science Robotics (2025). DOI: 10.1126/scirobotics.adk4249