Wie sich das Gehirn nach einem Schlaganfall für die Wiederherstellung der Sprache umstellt

Netzwerk-Neuverkabelung: Wie das Gehirn die Sprache nach einem Schlaganfall wiederherstellt
Eine bahnbrechende Studie, die in der Fachzeitschrift Brain veröffentlicht wurde, hat die komplexen Wege aufgezeigt, wie sich unser Gehirn reorganisiert, um Sprachfähigkeiten nach einem Schlaganfall wiederherzustellen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und des Universitätsklinikums Leipzig haben zum ersten Mal nachverfolgt, wie verschiedene Gehirnnetzwerke während der Erholung von schlaganfallbedingter Aphasie interagieren.
Aphasie – eine Sprachstörung, die die Fähigkeit einer Person zu sprechen, zu lesen, zu schreiben oder Sprache zu verstehen beeinträchtigt – betrifft etwa ein Drittel der Schlaganfallüberlebenden. Während viele Patienten im Laufe der Zeit eine gewisse Erholung zeigen, blieben die zugrunde liegenden Gehirnmechanismen bisher wenig verstanden, insbesondere wie sie sich je nach Schlaganfallort unterscheiden.
Verschiedene Schlaganfälle, verschiedene Erholungswege
Die Forscher beobachteten 34 Patienten mit Schädigungen in der linken Gehirnhälfte, die Hälfte mit frontalen Läsionen und die andere Hälfte mit temporo-parietalen Läsionen, von der akuten Phase (innerhalb einer Woche nach dem Schlaganfall) bis zur chronischen Phase (mehr als sechs Monate später). Mithilfe fortschrittlicher Bildgebung des Gehirns und einer Technik namens Dynamic Causal Modelling kartierten sie, wie verschiedene Gehirnnetzwerke während einer Sprachverständnisaufgabe kommunizierten.
“Nach unserem Kenntnisstand ist unsere Studie die erste, die die effektive Konnektivität bei Patienten mit Aphasie nach Schlaganfall longitudinal von der akuten bis zur chronischen Phase untersucht und dabei den Schwerpunkt auf die Auswirkungen der Läsionsstelle legt”, stellten die Forscher in ihrer Arbeit fest.
Ihre Ergebnisse zeigten, dass der Ort des Schlaganfalls einen erheblichen Einfluss darauf hatte, wie sich das Gehirn reorganisierte, um zu kompensieren.
Die Backup-Systeme des Gehirns werden aktiv
Die Studie zeigte, dass eine erfolgreiche Spracherholung auf verstärkten Interaktionen zwischen zwei Schlüsselnetzwerken beruht: dem Sprachnetzwerk (hauptsächlich in der linken Hemisphäre) und dem Multiple-Demand-Netzwerk, das allgemeine kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis verarbeitet.
Die leitende Forscherin Gesa Hartwigsen erklärte: “Wir haben festgestellt, dass zwei verschiedene Prinzipien die Erholung leiten. Erstens helfen fördernde Verbindungen vom Multiple-Demand-Netzwerk zu unbeschädigten Sprachbereichen, die Schlaganfallschäden zu kompensieren. Zweitens ändern sich die spezifischen Gehirnregionen, die an diesem Unterstützungssystem beteiligt sind, im Laufe der Zeit und hängen entscheidend davon ab, wo der ursprüngliche Schlaganfall aufgetreten ist.”
Patienten mit frontalen Läsionen zeigten zunächst verstärkte Verbindungen von der rechten Hemisphäre zu überlebenden Sprachbereichen in der linken Hemisphäre. Später im Erholungsprozess verließen sie sich auf den rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex und nutzten im Wesentlichen die entsprechende Region in der rechten Hemisphäre, um Schäden auf der linken Seite zu kompensieren.
Im Gegensatz dazu nutzten Patienten mit temporo-parietalen Läsionen den supplementär-motorischen Bereich und den anterioren cingulären Kortex – Regionen, die mit Konfliktüberwachung und kognitiver Kontrolle verbunden sind – um ihre Sprachverarbeitung zu unterstützen.
Frühe Verbindungen sagen bessere Erholung voraus
Besonders ermutigend fanden die Forscher heraus, dass stärkere Verbindungen zwischen diesen kompensatorischen Regionen in den frühen Phasen nach dem Schlaganfall bessere Sprachergebnisse Monate später vorhersagten.
“Die signifikante Korrelation der frühen Konnektivität mit der späteren Sprachverbesserung demonstriert die verhaltensrelevante Bedeutung dieses Musters”, schreiben die Forscher.
Dies deutet darauf hin, dass eine frühe Intervention, die auf diese Verbindungen abzielt, die Erholungsergebnisse verbessern könnte – eine potenziell wertvolle Erkenntnis für die Entwicklung neuer Rehabilitationsansätze.
Jenseits der Aktivität: Es geht um Kommunikation
Bisherige Forschungen zur Schlaganfallerholung konzentrierten sich hauptsächlich darauf, welche Gehirnregionen erhöhte Aktivität zeigen. Diese Studie geht weiter, indem sie untersucht, wie diese Regionen miteinander kommunizieren.
“Insgesamt erweitern unsere Erkenntnisse das Verständnis der neuronalen Mechanismen, die der Reorganisation der Sprache nach einem Schlaganfall zugrunde liegen, und deuten auf eine dynamische Entwicklung in der Relevanz von Netzwerkinteraktionen zwischen Sprach- und Multiple-Demand-Bereichen im Verlauf der Erholung hin”, berichtet das Team.
Implikationen für zukünftige Behandlungen
Diese Erkenntnisse könnten Rehabilitationsstrategien erheblich beeinflussen. Derzeit konzentrieren sich Behandlungen wie die transkranielle Magnetstimulation (TMS) auf die Stimulation spezifischer Gehirnregionen. Diese Forschung legt nahe, dass unterschiedliche Ziele optimal sein könnten, abhängig davon, wo der Schlaganfall aufgetreten ist und wie lange er zurückliegt.
“Die identifizierten läsions- und phasenabhängigen Konnektivitätsmuster helfen, individualisierte Ziele für die nicht-invasive Gehirnstimulation für die zukünftige Aphasie-Rehabilitation zu informieren”, schlussfolgern die Forscher. “Die Kombination von fördernder Stimulation über diese Bereiche mit Sprach- und Sprachtherapie kann die Spracherholung wirksam verbessern.”
Während größere Studien erforderlich sind, um diese Muster bei vielfältigeren Patientengruppen zu bestätigen, stellt diese Forschung einen wichtigen Schritt in Richtung personalisierter und effektiverer Schlaganfall-Rehabilitationsprotokolle dar.
Forschungszusammenfassung
Methodik
- Längsschnittstudie, die Schlaganfallpatienten von der akuten (≤1 Woche) bis zur chronischen Phase (>6 Monate) verfolgt
- 34 Patienten mit Schlaganfall in der linken Hemisphäre (17 frontal, 17 temporo-parietal) und 17 gesunde Kontrollpersonen
- fMRT während auditiver Satzverständnisaufgaben
- Dynamic Causal Modelling zur Analyse der Konnektivität zwischen Gehirnregionen
- Bewertung der Sprachfähigkeit mit dem Aachener Aphasie-Test
Wichtigste Ergebnisse
- Erhöhte Konnektivität vom Multiple-Demand- zum Sprachnetzwerk bei allen Patienten
- Unterschiedliche Gehirnregionen unterstützten die Erholung je nach Schlaganfallort
- Patienten mit frontalem Schlaganfall: Homologe der rechten Hemisphäre boten frühe Unterstützung
- Patienten mit temporo-parietalem Schlaganfall: Der supplementär-motorische Bereich bot spätere Unterstützung
- Frühe Konnektivitätsstärke sagte bessere langfristige Sprachergebnisse voraus
Studienlimitationen
- Begrenzte Stichprobengröße (34 Patienten in zwei Gruppen aufgeteilt)
- Fokus nur auf auditives Verständnis, nicht auf Sprachproduktion
- Korrelative Befunde ohne etablierte Kausalität
- DCM-Analyse beschränkt auf ausgewählte Regionen statt auf Netzwerke des gesamten Gehirns
Diskussion & Erkenntnisse
- Die Reorganisation des Gehirns für die Spracherholung folgt unterschiedlichen Mustern je nach Schlaganfallort
- Effektive Erholung umfasst nicht nur, welche Gehirnregionen aktiviert werden, sondern wie sie kommunizieren
- Das Multiple-Demand-Netzwerk spielt eine entscheidende, bisher unterschätzte Rolle bei der Spracherholung
- Die Erkenntnisse deuten auf maßgeschneiderte Rehabilitationsansätze basierend auf Schlaganfallort und Zeit seit dem Auftreten hin
- Potenzial für personalisierte Gehirnstimulationsprotokolle, die auf spezifische Verbindungen in bestimmten Erholungsphasen abzielen
Quelle
Zhizhao Jiang et al, Dynamic reorganization of task-related network interactions in post-stroke aphasia recovery, Brain (2025). DOI: 10.1093/brain/awaf036
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