Studie zeigt Zusammenhang zwischen Veränderungen des Darmmikrobioms und Multipler Sklerose

Störungen im Darmmikrobiom bei Multipler Sklerose: Neue Studie deckt Zusammenhang mit dem Immunsystem auf
Eine bahnbrechende Studie der Yale School of Medicine und der Mayo Clinic hat wichtige neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie Multiple Sklerose (MS) die empfindliche Beziehung zwischen Darmbakterien und dem Immunsystem beeinflusst. Die in Neurology: Neuroimmunology & Neuroinflammation veröffentlichte Forschung zeigt, dass neu diagnostizierte MS-Patienten signifikante Störungen in der Interaktion ihres Immunsystems mit Darmbakterien aufweisen – und dass bestimmte Behandlungen dazu beitragen können, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen.
Die Darm-Gehirn-Verbindung bei Multipler Sklerose
Bei Multipler Sklerose, einer Autoimmunerkrankung, von der weltweit fast 3 Millionen Menschen betroffen sind, wurde seit langem ein Zusammenhang mit dem Darmmikrobiom – den Billionen von Bakterien, die unseren Verdauungstrakt besiedeln – vermutet. Während frühere Forschungen Unterschiede in der Zusammensetzung der Darmbakterien zwischen MS-Patienten und gesunden Personen identifiziert haben, geht diese neue Studie einen entscheidenden Schritt weiter, indem sie untersucht, wie das Immunsystem mit diesen Bakterien interagiert.
“Mikrobielle Symbionten im Darm beeinflussen nachweislich die Entwicklung von Autoimmunität bei Multipler Sklerose”, erklären die Forscher. “Neuere Forschungen weisen auf eine wichtige Beziehung zwischen der mikrobiellen IgA-Schnittstelle und der MS-Pathophysiologie hin.”
Die Studie konzentrierte sich auf Immunglobulin A (IgA), einen vom Immunsystem produzierten Antikörper, der zur Regulierung von Darmbakterien beiträgt. IgA fungiert wie ein Überwachungssystem, das an bestimmte Bakterien bindet, um deren Aktivität zu kontrollieren und die Darmgesundheit zu erhalten. Interessanterweise wurden IgA-sezernierende B-Zellen im Gehirn von MS-Patienten gefunden, was darauf hindeutet, dass sie während entzündlicher Schübe vom Darm zum zentralen Nervensystem wandern könnten.
Wichtige Erkenntnisse: Gestörte Immunantwort im Darm
Das Forscherteam sammelte Stuhlproben von 43 Patienten mit neu diagnostizierter, unbehandelter MS und 42 entsprechenden gesunden Kontrollen. Sie setzten fortschrittliche Techniken ein, darunter bakterielle Durchflusszytometrie und Langstrecken-16S-rRNA-Gen-Sequenzierung, um Darmbakterien und deren Interaktion mit dem Immunsystem mit beispielloser Detailgenauigkeit zu untersuchen.
Ihre auffälligste Entdeckung: MS-Patienten zeigten signifikant reduzierte Anteile an IgA-beschichteten Bakterien im Vergleich zu gesunden Kontrollen. Dies deutet darauf hin, dass zu Beginn der MS das Immunsystem der Patienten anders mit ihren Darmmikroben interagiert, was möglicherweise zur Krankheitsentwicklung beiträgt.
“Patienten mit unbehandelter, neu diagnostizierter MS zeigten signifikante Reduktionen in der IgA-gebundenen fäkalen Mikrobiota im Vergleich zu Kontrollen”, berichten die Autoren. “Der verringerte Anteil an IgA-beschichteten Organismen, der bei Patienten mit unbehandelter MS im Vergleich zu Kontrollen beobachtet wurde, ist nicht auf das Fehlen spezifischer Bakterienstämme bei MS-Patienten zurückzuführen.”
Die Forscher identifizierten auch spezifische Bakterienstämme, die bei MS-Patienten entweder vermehrt oder vermindert auftraten. Zum Beispiel war Faecalibacterium prausnitzii, ein nützliches entzündungshemmendes Bakterium, bei MS-Patienten weniger häufig. Umgekehrt war ein kürzlich entdecktes Bakterium namens Monoglobus pectinyliticus bei MS-Patienten häufiger vertreten.
Veränderungen während der Behandlung verfolgen
Besonders interessant ist, dass die Forscher eine Untergruppe von 19 MS-Patienten beobachteten, die eine B-Zell-depletierende Therapie (Anti-CD20-monoklonale Antikörper) erhielten, und nach sechs Monaten Behandlung zusätzliche Stuhlproben sammelten.
Obwohl die Behandlung den Gesamtanteil der IgA-beschichteten Bakterien nicht signifikant erhöhte, veränderte sie die Häufigkeit und Prävalenz bestimmter Bakterienstämme. Bemerkenswert ist, dass nach der Behandlung die IgA-Beschichtungsmuster bestimmter Bakterien – darunter Akkermansia muciniphila, Bifidobacterium bifidum und Blautia obeum – denen gesunder Kontrollen ähnlicher wurden.
“Nach der B-Zell-depletierenden Therapie begannen sich die IgA-Beschichtungsmuster wieder an die bei gesunden Personen beobachteten anzugleichen”, stellten die Forscher fest.
Implikationen für MS-Behandlung und Forschung
Diese Studie eröffnet spannende neue Wege zum Verständnis und zur potenziellen Behandlung von MS. Durch die Identifizierung, wie sich Immunreaktionen auf Darmbakterien während Krankheit und Therapie verändern, könnten Forscher neue Ansätze entwickeln, um das Fortschreiten der MS zu mildern oder zu verhindern.
Dr. Erin Longbrake, eine der leitenden Autorinnen der Studie, deutet an: “Diese Analyse der mikrobiellen ASVs im Darm zeigt Verschiebungen in taxonomischen Stämmen, die durch Immunmodulation bei MS induziert werden.”
Die Ergebnisse könnten schließlich zu neuartigen therapeutischen Strategien führen, die auf das Darmmikrobiom abzielen. Zukünftige Forschung könnte untersuchen, ob die direkte Modifikation von Darmbakterien durch Ernährung, Probiotika oder andere Interventionen MS-Patienten zugutekommen könnte, indem gesündere Immunantworten gefördert werden.
Obwohl weitere Forschung notwendig ist, liefert diese Studie überzeugende Beweise dafür, dass die Darm-Gehirn-Verbindung eine entscheidende Rolle bei MS spielt – und potenziell neue Ansatzpunkte für Interventionen bietet.
Forschungszusammenfassung
Methodik:
- 43 neu diagnostizierte MS-Patienten und 42 gesunde Kontrollen stellten Stuhlproben zur Verfügung
- 19 MS-Patienten lieferten nach 6 Monaten B-Zell-depletierender Therapie zusätzliche Proben
- Fortschrittliche Techniken einschließlich bakterieller Durchflusszytometrie und Vollängen-16S-rRNA-Gen-Sequenzierung
- IgA-Coating-Scores wurden verwendet, um Bakterien-Immunsystem-Interaktionen zu analysieren
Hauptergebnisse:
- Reduzierte IgA-beschichtete Bakterien bei MS-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen
- Veränderte Häufigkeit spezifischer Bakterienstämme bei MS (verringertes Faecalibacterium prausnitzii, erhöhtes Monoglobus pectinyliticus)
- B-Zell-Depletionstherapie führte zu Veränderungen in der bakteriellen Zusammensetzung und den IgA-Beschichtungsmustern
- Bestimmte Bakterien zeigten nach der Behandlung normalisiertere IgA-Beschichtung
Einschränkungen der Studie:
- Beobachtungsdesign kann keine kausalen Zusammenhänge herstellen
- Relativ kleine Stichprobengröße, insbesondere für die Analyse nach der Behandlung
- Geografische und Lebensstilunterschiede zwischen den Teilnehmern können die Ergebnisse beeinflussen
- Rechnerische Herausforderungen bei der Mikrobiomanalyse, einschließlich multipler Hypothesentests
Quelle
Vinod K. Gupta et al, Alterations in Gut Microbiome-Host Relationships After Immune Perturbation in Patients With Multiple Sclerosis, Neurology Neuroimmunology & Neuroinflammation (2025). DOI: 10.1212/NXI.0000000000200355