Studie zeigt, dass Patienten besser über Antidepressiva aufgeklärt werden müssen, die die genitale Empfindlichkeit verringern können
Antidepressiva und anhaltende sexuelle Nebenwirkungen: Neue Studie zeigt besorgniserregende Trends auf
Eine bahnbrechende Studie hat einen potenziell alarmierenden Zusammenhang zwischen der Einnahme von Antidepressiva und anhaltenden sexuellen Nebenwirkungen aufgedeckt, selbst nach Absetzen des Medikaments. Diese Forschung, die in Kanada und den Vereinigten Staaten durchgeführt wurde, konzentrierte sich auf sexuelle und geschlechtliche Minderheiten unter Jugendlichen und wirft ein neues Licht auf eine Erkrankung, die als Post-SSRI Sexuelle Dysfunktion (PSSD) bekannt ist.
Die in Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology veröffentlichte Studie untersuchte die Häufigkeit von anhaltender post-therapeutischer genitaler Hypoästhesie (PPTGH) – einer verminderten Empfindlichkeit im Genitalbereich – bei jungen Menschen, die zuvor Antidepressiva eingenommen hatten. Dieses Symptom gilt als Kennzeichen der PSSD, einer Erkrankung, die in den letzten Jahren zunehmend Anerkennung findet.
Einer der Hauptforscher erklärt: „Wir stellten fest, dass 13,2% der Teilnehmer über anhaltende genitale Hypoästhesie nach Absetzen der antidepressiven Behandlung berichteten. Dies ist deutlich höher als die 0,9%, die bei Anwendern anderer psychiatrischer Medikamente berichtet wurden.“
Die Studie nutzte Daten aus der UnACoRN-Umfrage, die 2.179 Teilnehmer im Alter von 15-29 Jahren umfasste, die sich hauptsächlich als sexuelle und geschlechtliche Minderheiten identifizierten. Diese Personen, die überproportional häufig von Erkrankungen betroffen sind, für die Antidepressiva verschrieben werden, dienten als ‚Sentinel‘-Population für die Einschätzung des PSSD-Risikos.
Eines der auffälligsten Ergebnisse war der starke Zusammenhang zwischen der früheren Einnahme von Antidepressiva und erhöhten Chancen, PPTGH zu melden. Nach Berücksichtigung verschiedener Faktoren, einschließlich anderer psychiatrischer Medikamente und der Schwere der Depression, war das Odds Ratio für das Auftreten von PPTGH bei denjenigen, die Antidepressiva eingenommen hatten, 14,2-mal höher als bei denjenigen, die keine eingenommen hatten.
„Diese Studie unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer transparenteren Patientenaufklärung und einer echten informierten Einwilligung hinsichtlich der Risiken anhaltender sexueller Dysfunktion im Zusammenhang mit Antidepressiva.“
Das Forschungsteam erkennt an, dass viele Menschen von Antidepressiva profitieren, insbesondere von SSRIs und SNRIs. Sie betonen jedoch, dass die Möglichkeit langanhaltender sexueller Nebenwirkungen Teil der Risiko-Nutzen-Diskussion zwischen Gesundheitsdienstleistern und Patienten sein sollte.
Die Auswirkungen dieser Studie gehen über die individuelle Patientenversorgung hinaus. Die Forscher fordern standardisierte internationale Warnhinweise und eine rigorosere Erforschung von PSSD. Sie schlagen vor, dass zukünftige Studien alle vorgeschlagenen diagnostischen Kriterien für PSSD einbeziehen und zeitliche Veränderungen der Symptome vor, während und nach der Behandlung dokumentieren sollten.
Für Patienten und Gesundheitsdienstleister unterstreicht diese Forschung gleichermaßen die Bedeutung von Wachsamkeit und offener Kommunikation über sexuelle Nebenwirkungen. Sie wirft auch Fragen zur aktuellen Verschreibungspraxis auf, insbesondere für junge Menschen, die beginnen, ihre Sexualität zu erforschen.
Während wir weiterhin die Komplexität der Behandlung psychischer Erkrankungen entschlüsseln, erinnern uns Studien wie diese an das empfindliche Gleichgewicht zwischen der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen und der Aufrechterhaltung der allgemeinen Lebensqualität. Die Hoffnung besteht darin, dass diese Forschung weitere Untersuchungen zu PSSD anregen und zu einer fundierteren Entscheidungsfindung in der psychischen Gesundheitsversorgung führen wird.
Zusammenfassung der Forschungsarbeit:
1. Methodik:
– Querschnittsstudie (UnACoRN) mit 2.179 Jugendlichen sexueller und geschlechtlicher Minderheiten im Alter von 15-29 Jahren in Kanada und den USA
– Fokus auf Teilnehmer mit einer Geschichte psychiatrischer Medikamenteneinnahme
– Ausschluss von Personen mit Genitaloperationen oder ohne sexuelle Erfahrung
– Verwendung logistischer Regression zur Schätzung der Chancen für PPTGH nach Medikamententyp
2. Hauptergebnisse:
– 13,2% der Antidepressiva-Anwender berichteten über PPTGH im Vergleich zu 0,9% der Anwender anderer Medikamente
– Adjustiertes Odds Ratio für PPTGH bei Antidepressiva-Anwendern: 14,2 (95% KI: 2,92 bis 257)
– Frühere Verwendung von Sedativa ebenfalls mit erhöhter PPTGH-Berichterstattung assoziiert (OR = 1,73, 95% KI: 1,03 bis 2,89)
3. Studienlimitationen:
– Breite Kategorien psychiatrischer Medikamente verwendet, ohne SSRI/SNRI-Verwendung zu differenzieren
– Fehlen von Baseline-Daten vor der Behandlung
– Selbstberichtete Symptomatik
– Stichprobe mit Übergewicht von Personen, denen bei Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde
4. Diskussion & Schlussfolgerungen:
– Unterstreicht die Notwendigkeit transparenter Patientenaufklärung und informierter Einwilligung
– Fordert standardisierte internationale Warnhinweise zum PSSD-Risiko
– Schlägt potenzielle Änderungen der Verschreibungspraxis vor, insbesondere für Jugendliche
– Betont die Bedeutung weiterer Forschung zur PSSD-Pathogenese und potenziellen Behandlungen
Quelle
Yassie Pirani et al, Frequency of self-reported persistent post-treatment genital hypoesthesia among past antidepressant users: a cross-sectional survey of sexual and gender minority youth in Canada and the US, Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology (2024). DOI: 10.1007/s00127-024-02769-0