Neurovaskuläre Hinweise bieten neuen Weg zu früher Alzheimer-Krankheit

Gehirnwellen außer Takt: Neue Studie deckt vaskuläre Verbindung zu Alzheimer auf
Eine bahnbrechende Studie, veröffentlicht in Brain Communications, hat überzeugende Hinweise darauf aufgedeckt, dass Störungen in der Koordination zwischen Gehirnaktivität und Blutfluss eine entscheidende Rolle bei der Alzheimer-Krankheit spielen könnten. Diese Erkenntnis eröffnet neue Möglichkeiten für die Früherkennung und Überwachung der Erkrankung durch nicht-invasive Techniken.
Forscher der Lancaster University und des Universitätsklinikums in Ljubljana, Slowenien, haben spezifische Muster einer “neurovaskulären Entkopplung” bei Alzheimer-Patienten identifiziert, was möglicherweise erklärt, warum Behandlungen, die sich ausschließlich auf Amyloid-Plaques und Tau-Verwicklungen konzentrieren, nur begrenzten Erfolg gezeigt haben.
Die neurovaskuläre Verbindung
Jahrelang wurde die Alzheimer-Krankheit hauptsächlich mit der Ansammlung von Amyloid-Beta-Ablagerungen und Tau-Protein-Verwicklungen in Verbindung gebracht. Neuere Forschungen betonen jedoch zunehmend die Bedeutung der vaskulären Gesundheit für die Entwicklung und das Fortschreiten der Krankheit.
“Vaskuläre und neurovaskuläre Wege zur Neurodegeneration werden zunehmend als wichtig für den Beginn und das Fortschreiten der Krankheit anerkannt”, stellen die Forscher in ihrer Arbeit fest. Diese Perspektive stimmt mit der “Zwei-Treffer-Gefäßhypothese” überein, die nahelegt, dass vaskuläre Schäden zu einer verringerten Amyloid-Beta-Clearance führen können, was eine Kaskade degenerativer Prozesse auslöst.
Das Gehirn benötigt eine erhebliche Menge an Energie – etwa 20% des Gesamtverbrauchs des Körpers – und ist auf das Herz-Kreislauf-System angewiesen, um Sauerstoff und Nährstoffe zu liefern und gleichzeitig Abfallprodukte zu entfernen. Dieses empfindliche Gleichgewicht wird durch “neurovaskuläre Kopplung” aufrechterhalten, bei der neuronale Aktivität entsprechende Blutflussreaktionen auslöst.
Messung von Gehirnwellen und Blutfluss
Um mögliche Störungen in diesem System zu untersuchen, setzte das Forschungsteam eine Kombination nicht-invasiver Technologien ein: funktionelle Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS) zur Messung der Gehirnsauerstoffversorgung, Elektroenzephalogramm (EEG) zur Aufzeichnung neuronaler Aktivität sowie zusätzliche Überwachung von Herzfrequenz und Atmung.
Die Studie verglich 19 Patienten mit bestätigter Alzheimer-Krankheit mit 20 altersangepassten Kontrollpersonen. Anstatt sich auf statische Messungen zu konzentrieren, analysierten die Forscher die dynamischen Oszillationen in diesen physiologischen Signalen und deren Koordination über die Zeit mittels fortschrittlicher Wavelet-Analysetechniken.
“Wir behandeln das Herz-Kreislauf-System und das Gehirn als Systeme interagierender Oszillatoren”, erklärten die Forscher, “und erkennen an, dass lebende Systeme als thermodynamisch offene und fernab vom Gleichgewicht befindliche Systeme Oszillationen mit zeitlich variierenden Frequenzen aufweisen.”
Drei Haupterkenntnisse
Die Ergebnisse zeigten drei charakteristische Merkmale bei Alzheimer-Patienten:
- Verringerte Oszillationen der Gehirnsauerstoffversorgung: Die Alzheimer-Gruppe zeigte eine signifikant reduzierte Leistung der Oszillationen der Gehirnsauerstoffversorgung, besonders in Frequenzbereichen, die mit der Blutgefäßfunktion zusammenhängen.
- Erhöhte Atemfrequenz: Patienten mit Alzheimer wiesen eine deutlich höhere durchschnittliche Atemfrequenz auf (etwa 17 Atemzüge pro Minute) im Vergleich zur Kontrollgruppe (etwa 13 Atemzüge pro Minute).
- Reduzierte neurovaskuläre Kohärenz: Am aufschlussreichsten war, dass die Koordination zwischen vaskulären und neuronalen Aktivitäten – gemessen als “Phasenkohärenz” – bei Alzheimer-Patienten deutlich reduziert war.
“Die Phasenkohärenz zwischen vaskulären und neuronalen Aktivitäten ist bei Alzheimer im Vergleich zur Kontrollgruppe reduziert, was auf eine veränderte Funktion der neurovaskulären Einheit hinweist”, berichteten die Forscher.
Diese Veränderungen waren besonders im “myogenen” Frequenzband (0,052-0,145 Hz) auffällig, das mit der rhythmischen Kontraktion und Entspannung der glatten Gefäßmuskelzellen assoziiert ist, die den Blutfluss regulieren.
Implikationen für Diagnose und Behandlung
Diese Forschung hat bedeutende Auswirkungen auf sowohl das Verständnis als auch die Behandlung der Alzheimer-Krankheit. Die gestörte Koordination zwischen neuronaler Aktivität und Blutfluss könnte erklären, warum die Sauerstoffversorgung des Gehirns beeinträchtigt wird, was möglicherweise sowohl die Energieproduktion als auch die Abfallbeseitigung beeinflusst.
“Dies könnte zu einer verringerten Sauerstoffzufuhr zum Gehirn führen, was die ATP-Produktion beeinträchtigen und möglicherweise die Amyloid-Beta-Clearance reduzieren könnte”, erklärten die Forscher.
Darüber hinaus deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass die Überwachung der neurovaskulären Kohärenz als wertvoller Biomarker für die Früherkennung, die Verfolgung des Krankheitsverlaufs und die Bewertung der Wirksamkeit von Interventionen dienen könnte. Die nicht-invasive und relativ kostengünstige Natur der Überwachungstechnologien – im Vergleich zu PET-Scans oder Lumbalpunktionen – macht diesen Ansatz besonders vielversprechend für den weitverbreiteten klinischen Einsatz.
Wie die Forscher abschließend feststellen: “Diese Veränderungen in der neurovaskulären Dynamik haben Potenzial für die Früherkennung, als Marker für den Krankheitsverlauf und für die Bewertung der Wirkung von Interventionen.”
Angesichts der enttäuschenden Ergebnisse aus proteinorientierten Medikamentenstudien deutet diese Forschung darauf hin, dass das Gefäßsystem und die neurovaskuläre Einheit vielversprechende Ziele für zukünftige Behandlungen der Alzheimer-Krankheit sein könnten.
Zusammenfassung der Forschungsarbeit
Methodik
- Vergleich von 19 Alzheimer-Patienten mit 20 Kontrollpersonen ähnlichen Alters
- Verwendung simultaner Aufzeichnungen von Gehirnsauerstoffversorgung (fNIRS), neuronaler Aktivität (EEG), Herzfrequenz (EKG) und Atmung über 25-minütige Zeiträume
- Anwendung von Wavelet-Transformation und Wavelet-Phasenkohärenzanalyse zur Untersuchung oszillatorischer Muster und deren Koordination
Hauptergebnisse
- Signifikant verringerte Leistung der Oszillationen der Gehirnsauerstoffversorgung in der Alzheimer-Gruppe
- Reduzierte globale Kohärenz in der Gehirnsauerstoffversorgung in allen Frequenzbändern
- Höhere durchschnittliche Atemfrequenz in der Alzheimer-Gruppe (0,28 Hz vs. 0,21 Hz)
- Reduzierte Phasenkohärenz zwischen neuronalen und vaskulären Aktivitäten, besonders um 0,1 Hz
Limitationen der Studie
- Relativ kleine Stichprobengröße
- Querschnittsdesign kann keine Kausalität feststellen
- Einige Teilnehmer mussten aufgrund von Problemen mit der Signalqualität ausgeschlossen werden
- Ergebnisse zeigen Korrelation, aber nicht notwendigerweise Kausalität
Diskussion & Erkenntnisse
- Gestörte neurovaskuläre Kopplung könnte ein kritischer Faktor bei der Alzheimer-Krankheit sein
- Reduzierte Vasomotion könnte die Sauerstoffversorgung und Amyloid-Beta-Clearance beeinträchtigen
- Nicht-invasive Überwachung der neurovaskulären Koordination könnte Biomarker für die Früherkennung liefern
- Das Gefäßsystem könnte ein vielversprechendes Ziel für zukünftige therapeutische Interventionen sein
Quelle
Juliane Bjerkan, Bernard Meglič, Gemma Lancaster, Jan Kobal, Peter V E McClintock, Trevor J Crawford, Aneta Stefanovska, Neurovascular phase coherence is altered in Alzheimer’s disease, Brain Communications, Volume 7, Issue 1, 2025, fcaf007, https://doi.org/10.1093/braincomms/fcaf007