Chronische virale Darminfektion könnte bei der Entstehung von Alzheimer eine Rolle spielen
Alzheimer-Krankheit: Neuer Zusammenhang zwischen Darmmikroben, Immunantwort und Gehirngesundheit entdeckt
Eine bahnbrechende Studie hat eine faszinierende Verbindung zwischen einem bestimmten Typ von Gehirnzellen, Darmmikroben und dem Immunsystem bei der Alzheimer-Krankheit (AD) aufgedeckt. Diese Entdeckung könnte den Weg für neue diagnostische Werkzeuge und potenzielle Behandlungen für diese verheerende neurodegenerative Erkrankung ebnen.
Forscher der Arizona State University und mehrerer anderer Institutionen haben einen Subtyp von Gehirn-Immunzellen identifiziert, die als CD83(+)-Mikroglia bezeichnet werden. Diese sind bei fast der Hälfte der AD-Patienten vorhanden, aber nur bei einem Viertel der nicht betroffenen Personen. Diese speziellen Mikroglia scheinen mit erhöhten Spiegeln eines bestimmten Antikörpers (IgG4) und dem Vorhandensein eines häufigen Virus (humanes Cytomegalovirus oder HCMV) sowohl im Darm als auch im Gehirn in Verbindung zu stehen.
„Unsere Ergebnisse deuten auf eine komplexe, gewebeübergreifende Interaktion zwischen HCMV und der adaptiven Immunantwort hin, die mit CD83(+)-Mikroglia bei Personen mit AD assoziiert ist“, erklärt Hauptautor Benjamin P. Readhead. „Dies könnte eine Chance für eine antivirale Therapie bei Personen mit AD und Biomarker-Nachweis von HCMV, IgG4 oder CD83(+)-Mikroglia darstellen.“
Die in Alzheimer’s & Dementia veröffentlichte Studie verwendete fortschrittliche Techniken zur Analyse von Gehirn-, Darm- und Rückenmarksflüssigkeitsproben von über 100 Personen. Das Team fand heraus, dass AD-Patienten mit CD83(+)-Mikroglia höhere Spiegel von IgG4-Antikörpern in ihrem Darm und ihrer Rückenmarksflüssigkeit aufwiesen, insbesondere Antikörper, die auf HCMV abzielen. Wichtig ist, dass sie auch HCMV selbst im Darm, Gehirn und Vagusnerv (der den Darm mit dem Gehirn verbindet) dieser Personen nachwiesen.
Um die Rolle von HCMV bei AD weiter zu untersuchen, infizierten die Forscher im Labor gezüchtete „Mini-Gehirne“, sogenannte zerebrale Organoide, mit dem Virus. Sie beobachteten, dass die HCMV-Infektion die Produktion wichtiger AD-Marker, einschließlich Amyloid-beta und Tau-Proteinen, beschleunigte und den neuronalen Zelltod erhöhte.
Diese Ergebnisse deuten auf einen möglichen Weg hin, bei dem eine HCMV-Infektion im Darm eine Immunantwort auslöst, an der IgG4-Antikörper beteiligt sind. Diese Antwort könnte dann über den Vagusnerv zum Gehirn gelangen und möglicherweise zur Entwicklung oder zum Fortschreiten von AD beitragen.
Dr. Eric M. Reiman, ein Co-Autor der Studie, betont die Bedeutung dieser Ergebnisse: „Diese Forschung eröffnet neue Wege zum Verständnis von AD und könnte zu neuartigen diagnostischen und therapeutischen Ansätzen führen. Wir könnten beispielsweise IgG4-Spiegel oder HCMV-Nachweis als frühe Biomarker für das AD-Risiko verwenden oder Patienten identifizieren, die von antiviralen Behandlungen profitieren könnten.“
Obwohl die Studie spannende neue Erkenntnisse liefert, warnen die Forscher, dass weitere Arbeit erforderlich ist, um die Beziehung zwischen HCMV, dem Immunsystem und AD vollständig zu verstehen. Sie planen, größere Studien durchzuführen, um ihre Ergebnisse zu bestätigen und mögliche Interventionen zu erforschen.
Diese Forschung unterstreicht die wachsende Erkenntnis, dass AD eine komplexe Störung ist, die mehrere Körpersysteme betrifft, nicht nur das Gehirn. Sie betont die Bedeutung der Berücksichtigung von Faktoren wie Infektionen und Immunantworten bei der Untersuchung und Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen.
Da unsere Bevölkerung altert und AD immer häufiger auftritt, bieten Studien wie diese Hoffnung auf neue Möglichkeiten zur Erkennung, Prävention und Behandlung dieser herausfordernden Erkrankung. Indem wir die komplexen Verbindungen zwischen unserem Darm, Immunsystem und Gehirn entschlüsseln, kommen wir der Lösung des Alzheimer-Rätsels möglicherweise einen Schritt näher.
Zusammenfassung des Forschungspapiers:
1. Methodik:
– Einzelkern-RNA-Sequenzierung von Gehirngewebeproben
– Immunhistochemie von Gehirn-, Darm- und Vagusnerv-Geweben
– IgG4-Antikörper-Repertoire-Analyse der Cerebrospinalflüssigkeit
– HCMV-Infektion von zerebralen Organoiden
2. Hauptergebnisse:
– CD83(+)-Mikroglia bei 47% der AD-Patienten vs. 25% der Kontrollen gefunden
– Erhöhtes Vorkommen von IgG4 und HCMV in Darm, Gehirn und Vagusnerv von AD-Patienten mit CD83(+)-Mikroglia
– Höhere Spiegel von Anti-HCMV-IgG4-Antikörpern in der Cerebrospinalflüssigkeit von AD-Patienten mit CD83(+)-Mikroglia
– HCMV-Infektion von zerebralen Organoiden beschleunigte AD-ähnliche Pathologie
3. Einschränkungen der Studie:
– Relativ kleine Stichprobengröße
– Querschnittsdesign begrenzt kausale Schlussfolgerungen
– Ergebnisse müssen in größeren, diversen Kohorten repliziert werden
4. Diskussion & Erkenntnisse:
– Deutet auf eine mögliche Beteiligung der Darm-Hirn-Achse an der AD-Pathologie hin
– Hebt die Rolle von Virusinfektionen und Immunantworten bei AD hervor
– Eröffnet neue Wege für AD-Biomarker und potenzielle antivirale Therapien
– Betont die Notwendigkeit eines Multi-System-Ansatzes zum Verständnis und zur Behandlung von AD
Quelle:
Alzheimer’s disease-associated CD83(+)microglia are linked with increased immunoglobulin G4 and human cytomegalovirus in the gut, vagal nerve, and brain, Alzheimer’s & Dementia (2024). DOI: 10.1002/alz.14401
Wang, Q., et al. Single cell transcriptomes and multiscale networks from persons with and without Alzheimer’s disease. Nature Communications(2024). DOI: 10.1038/s41467-024-49790-0