Neues Screening-Tool revolutioniert die Erkennung von Wahrnehmungsstörungen nach Schlaganfall

Forscher der Universitäten Oxford und Durham haben ein innovatives Screening-Tool entwickelt, das die Erkennung von visuellen Wahrnehmungsstörungen nach einem Schlaganfall erheblich verbessern könnte. Das Oxford Visual Perception Screen (OxVPS) ist ein standardisiertes 15-minütiges Bewertungsinstrument, das Gesundheitsfachkräften hilft, Patienten schnell und effizient auf 15 verschiedene visuelle Wahrnehmungsstörungen zu untersuchen.
Warum visuelle Wahrnehmungsstörungen oft unerkannt bleiben
Visuelle Wahrnehmungsstörungen gehören zu den häufigsten Folgen eines Schlaganfalls, bleiben jedoch oft unerkannt. Dr. Kathleen Vancleef, Hauptautorin der Studie, erklärt: “Obwohl visuelle Wahrnehmungsprobleme sehr häufig sind, ist die Bewertung dieser Probleme nach einem Schlaganfall eine Herausforderung. Bestehende Test-Batterien nehmen mindestens 45 Minuten in Anspruch, was sie für das systematische Screening aller Schlaganfallpatienten in zeit- und ressourcenarmen akuten Umgebungen ungeeignet macht.”
Hinzu kommt, dass Schlaganfallpatienten oft unter Erschöpfung und beeinträchtigter Aufmerksamkeit leiden. Daher verlassen sich Gesundheitsfachkräfte typischerweise auf Selbstberichte der Patienten und Beobachtungen. Da sich die Sensitivität eines Screening-Tools jedoch erheblich verringert, wenn Patienten ihre Symptome nicht mitteilen können, werden viele Beeinträchtigungen derzeit möglicherweise übersehen.
Was macht das Oxford Visual Perception Screen besonders?
Das OxVPS wurde speziell entwickelt, um diese Lücke zu schließen. Es ist ein kurzes, einfach zu administrierendes Papier-und-Stift-Assessment, das in 15 Minuten durchgeführt werden kann und 10 verschiedene Aufgaben umfasst. Diese beinhalten:
- Benennen von Bildern
- Erkennen semantischer Informationen
- Globale Formwahrnehmung
- Zählen von Gegenständen
- Einfache Merkmalserkennung
- Gesichtserkennung
- Lesen
- Durchstreichaufgaben
- Zeichnen geometrischer Figuren
Ein besonderer Vorteil des OxVPS ist die Barrierefreiheit für Schlaganfallpatienten. Das Format berücksichtigt einseitige Schwäche der Hand, Kommunikationsschwierigkeiten, visuelle Vernachlässigung und Erschöpfung. “Die Aufgaben sind so konzipiert, dass Patienten mit Gesten ihrer nicht betroffenen Hand antworten können, und Bilder werden vertikal präsentiert, um Verfälschungen durch visuelle Vernachlässigung zu vermeiden”, erläutern die Forscher.
Umfassende Normierungsstudie
Die Forscher führten eine Normierungsstudie mit 107 neurologisch gesunden älteren Freiwilligen durch, um Referenzwerte für normale Leistungen im OxVPS zu etablieren. Die Altersverteilung der Stichprobe spiegelte die Altersverteilung von Schlaganfallpatienten wider, mit 45% der Freiwilligen über 80 Jahre.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Leistungen bei den meisten Aufgaben stark in Richtung perfekter Scores verzerrt waren. Auf Basis der Normierungsdaten wurden Cut-off-Werte für die 5. Perzentile berechnet, die als Schwellenwerte für normale Leistung bei jedem Test dienen.
Interessanterweise fanden die Forscher kaum Hinweise auf einen Einfluss der Sehschärfe auf die OxVPS-Ergebnisse, mit Ausnahme der Aufgaben zur Figur-Kopie und zur globalen Formwahrnehmung. Ein Alterseffekt wurde nur bei der Gesichtserkennung und Leseaufgabe beobachtet. Geschlechtsunterschiede wurden nicht festgestellt.
Praxisrelevanz anhand von Fallbeispielen
Die Studie präsentiert zudem acht Fallbeispiele, die die Interpretation des OxVPS veranschaulichen. Diese umfassen Patienten mit Augenerkrankungen wie Makuladegeneration, Katarakt und Glaukom sowie Schlaganfallpatienten mit diagnostizierten visuellen Wahrnehmungsstörungen.
Die Fallserie zeigt, dass Patienten mit schweren Augenerkrankungen zwar bei einigen Aufgaben des OxVPS schlecht abschneiden können, ihre Fehler jedoch meist durch ihre Augenerkrankung erklärt werden können und/oder ihr Profil fehlgeschlagener Aufgaben keiner der visuellen Wahrnehmungsstörungen entspricht, auf die das OxVPS testet.
Im Gegensatz dazu zeigten die Schlaganfallpatienten mit visuellen Wahrnehmungsstörungen charakteristische Leistungsprofile. Ein Patient zeigte beispielsweise Anzeichen von Prosopagnosie (Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen), visuokonstruktiven Defiziten, Alexie und Neglekt-Dyslexie. Ein anderer Patient zeigte ein Leistungsprofil, das auf optische Aphasie hinwies.
“Das OxVPS kann als Screening-Tool dazu beitragen, auf welche Wahrnehmungsschwierigkeiten möglicherweise vorliegen, um die Überweisung zur umfassenden Bewertung zu unterstützen und vorläufige Rehabilitationsempfehlungen zu informieren”, erklären die Autoren.
Zukunftsperspektiven
Die Forscher betonen, dass weitere Validierungsstudien notwendig sind, um die diagnostische Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Validität des OxVPS zu bewerten. Sie planen, die Zusammenhänge zwischen Bildungsniveau, ethnischer Zugehörigkeit und Leistung im OxVPS weiter zu untersuchen.
Trotz dieser Einschränkungen hat das OxVPS das Potenzial, die Screening-Praxis für visuelle Wahrnehmungsstörungen in klinischen Umgebungen zu verändern. Es bietet eine praktische Lösung für die systematische Bewertung nahezu aller Schlaganfallpatienten und macht das Screening für visuelle Wahrnehmungsstörungen durch eine schnelle 15-minütige Bewertung zugänglicher, die von Gesundheitsfachkräften verschiedener Disziplinen leicht durchgeführt und interpretiert werden kann.
Das OxVPS ist kostenlos für nicht-kommerzielle Nutzung verfügbar und kann unter https://oxvps.webspace.durham.ac.uk/ heruntergeladen werden.
Zusammenfassung der Forschungsstudie
Methodik
- Gemischte Methoden-Studie mit Querschnittsstudie und Fallserie
- 107 neurologisch gesunde Teilnehmer für Normierungsdaten
- Patienten mit Augenerkrankungen oder Schlaganfall für Fallserie
- Bestimmung von Cut-off-Werten für die 5. Perzentile für jede Aufgabe
- Untersuchung der Effekte von Alter, Sehschärfe und Geschlecht mittels generalisierter linearer Modelle
Hauptergebnisse
- OxVPS ist ein 15-minütiges Papier-und-Stift-Assessment mit 10 Aufgaben
- Normierungsdaten zeigten durchgängig hohe Leistungen mit den meisten Cut-offs nahe der Höchstwerte
- Kein Einfluss der Sehschärfe auf die meisten OxVPS-Aufgaben gefunden
- Alterseffekte nur bei Gesichtserkennung und Lesen beobachtet
- Keine Geschlechtseffekte festgestellt
- Fallserie demonstriert, dass OxVPS zwischen Augenerkrankungen und visuellen Wahrnehmungsstörungen unterscheiden kann
Einschränkungen der Studie
- Hohes Bildungsniveau der Normierungsstichprobe (73% mit Hochschulbildung)
- Wenig ethnische Vielfalt in der Stichprobe
- Voraussetzungen für das OxVPS: Sprachverständnis, grundlegende Bildung mit Lesefähigkeit
- Mindest-Sehschärfe von 0,7 logMAR für die Leseaufgabe erforderlich
- Keine Bewertung der diagnostischen Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Validität in der aktuellen Studie
Diskussion & Kernaussagen
- OxVPS füllt eine Lücke in bestehenden visuellen Wahrnehmungsbewertungen durch ein schnelles, einfach anzuwendendes Screening-Tool
- Fokus auf Praktikabilität und Schlüsselanforderungen, die von Gesundheitsfachkräften identifiziert wurden
- Portabel und kompakt, geeignet für Untersuchungen am Krankenbett
- Potenzial zur Verbesserung der Erkennung von visuellen Wahrnehmungsschwierigkeiten nach Schlaganfall
- Unterstützt die Planung nachfolgender eingehender Bewertungen und Entscheidungen über vorläufige RehabilitationsberatungQuelle:
Phillips, M. R., Byrne, J., Gibson, E. C., Gilbert, C., Ford, L., … Marsh, G. (2024). The brief executive language screen: sensitivity and specificity in acute to early sub-acute stroke. Topics in Stroke Rehabilitation, 32(1), 70–82. https://doi.org/10.1080/10749357.2024.2356412